#chefin ... und was einen Chor zu leiten mit moderner Unternehmensführung zu tun hat.

Chorleiten ist Chef*in-Sache!

Jüngst habe ich mit einem Sänger meines Vocalensembles beim Distance-Bier nach der Probe ein für mich sehr interessantes und schönes Gespräch geführt.

Den ganz genauen Wortlaut seiner Aussagen kann ich leider nicht mehr wiedergeben, aber er meinte in etwa:

„Ich bewundere, wie Du es schaffst, atmosphärisch im Chor alle mit einzubeziehen, den einzelnen Persönlichkeiten Platz zu geben und trotzdem genau zu signalisieren, wann Du eine Entscheidung getroffen hast und ein Einmischen nicht mehr unbedingt erwünscht ist. Und ich genieße die Klarheit, die Du musikalisch in den Proben und auch im organisatorischen drum herum vermittelst. Und vor allem auch die Zeiteffizienz in der Probenarbeit.“

So ein schönes, ehrliches und unerwartetes Feedback! Ich bin direkt rot geworden vor Freude und hab mich herzlich bedankt.
Und gleichzeitig fühlte ich mich bestätigt in den Gedanken, die ich mir in den letzten Jahren und besonders intensiv in den letzten Monaten rund ums Chorleiten gemacht habe…

Was meine ich damit?

ChorLEITER*IN zu sein impliziert, wie es der Name schon sagt, dass ich eine Leitungsfunktion inne habe. Ich bin natürlich Chef*in im musikalischen Sinne, oft aber auch im organisatorischen Sinne, jedenfalls aber im gruppendynamischen Sinne.
In gewisser Weise ist es in meinen Augen nichts anderes, als Chef*in eines Unternehmens zu sein. Denn: ich arbeite leitend mit einer Gruppe von oft heterogenen Menschen zusammen, trage die Verantwortung für wichtige Entscheidungen und gebe die strategische Richtung vor. Und ich versuche die idealen Rahmenbedingungen zu schaffen, dass meine „Mitarbeiter*innen“ sich am Arbeitsplatz und im Team wohlfühlen und weiterhin mit mir zusammenarbeiten wollen.

Ein Thema, mit dem ich mich in letzter Zeit beschäftigt habe ist: Modern Leadership und New Work – Hier geht es eigentlich in der Wirtschaft u.a. um eine moderne Unternehmensführung, die impliziert, dass die Kommunikation mit den Mitarbeiter*innen auf Augenhöhe stattfindet und von großer Wertschätzung geprägt ist. Und diese Art der Führung ist auch die, die sich für mich in der Chorleitung richtig anfühlt. (und die ich generell für verfolgenswert halte! 😉)

Ich empfinde es als unglaubliches Geschenk, dass Leute dem Chorsingen – und in gewisser Weise auch mir als Leiterin - ihre Freizeit schenken. Denn unsere Zeit ist ein begrenztes Gut, mit dem wir in der Regel sorgsam umgehen. Gute Sänger*innen sind vielfältig musikalisch aktiv und überlegen sich ganz genau, wofür sie sich Zeit nehmen wollen.

Das versuche ich mir immer wieder ins Bewusstsein zu rufen. Und in weiterer Folge die mir von den Sänger*innen geschenkte Zeit in der Probenarbeit möglichst schön, motivierend aber auch zeiteffizient zu nutzen.
(Denn: wenn ich in einer Probe bloß 5 Minuten mit der Suche nach einer Entscheidung vergeude, die ich ohne Probleme bereits zuhause treffen hätte können, dann entspricht das 200 Minuten. Das sind, wirtschaftlich gedacht, über 3 Stunden Zeit, die ich als Chef*in eines Unternehmens meine Mitarbeiter quasi „umsonst“ entlohnen müsste… und in denen diese sich fadisieren.)

Wie kann dies gelingen?

Ich habe im Laufe der Zeit erkannt, dass für mich eine sehr gute musikalische Vorbereitung und eine ziemlich akribische Probenplanung der Schlüssel zum Erfolg sind. Bereits in die Planung eines Konzertprogrammes investiere ich viel Zeit darin, passende Stücke auszuwählen und Hintergrundinformationen zu diesen Werken zu sammeln. Und dann sitze ich stundenlang mit den ausgewählten Stücken am Klavier, singe alle Stimmen durch, überlege mir Phrasierungen und Absprachen, harmonische Zusammenhänge, Details zu Dynamik usw., sodass sich langsam eine gefestigte musikalische Interpretation ergibt und ich in den Proben eine Linie vorgeben und die allermeisten Unklarheiten entweder sofort beseitigen kann, oder innerhalb von wenigen Sekunden entscheiden kann, was zu tun ist.

Immer wieder sprechen mich Sänger*innen an: „Wahnsinn, wie Du das alles kannst und aus dem Ärmel schüttelst.“ Drauf reagiere ich meistens mit einem Lächeln und einem gedanklichen: “Wenn Du wüsstest…“. 😉

Für jede Probe schreibe ich mir einen konkreten Probeplan, der manchmal zu lustigen Ergebnissen führt, wie z.B.: von 19:23 – 19:31: Stück XY, oder zu meinem geflügelten Ausruf: „Wir machen sieben Minuten Pause!“.
Interessanterweise habe ich festgestellt, dass ich bei Chorproben eigentlich kaum auf die Uhr schaue. Es reicht mir anscheinend unterbewusst zu wissen, dass ich einen Plan habe.

Den Rest erledigt dankenswerterweise das Parkinsonsche Gesetz für mich:

ACHTUNG! Nebenbemerkung:
Dieses Gesetz gilt definitiv nur, wenn man vorbereitet ist! 😉 Denn ohne adäquate Vorbereitung dehnen sich vielleicht nur die ersten drei zu probenden Stücke auf die zur Verfügung stehende Zeit aus… Das hat schon manchmal dazu geführt, dass man bei einer Gottesdienstgestaltung ein wunderschön gesungenes „Kyrie“, ein eindrucksvolles „Gloria“, allerdings ein recht fragwürdiges „Agnus Dei“ zu Gehör bekommen hat…

Zusammenfassend möchte ich festhalten:

Die Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen und verständlich zu kommunizieren, ist eine der wichtigsten Eigenschaften einer Person in Leitungsfunktion. Diese Fähigkeit fällt nicht vom Himmel, sondern erfordert viel Reflexion und Vorbereitung, und auch eine gehörige Portion Mut.

Eine gute und klare Kommunikation, sowohl in musikalischen als auch organisatorischen Belangen (auch bei unangenehmen Dingen), ist meiner Erfahrung nach als Chorleiter*in unglaublich wichtig – und Deine Chorsänger*innen werden es Dir 1000 Mal danken.
Und langfristig gesehen erhältst Du die für die Vorbereitung ausgegebene Zeit zurück, denn: Du ersparst Dir viele zeitraubende Fragen während der Probenzeit, die Nerven kosten und Zeit abzwacken von dem, was eigentlich wirklich wichtig ist:
Dem Chorsingen!!

Chorleiten ist Chef*in-Sache!

Und ich wünsche Dir, wenn Du das Glück hast Chorleiter*in zu sein, weiterhin alles Gute für diese wunderbar schöne und wunderbar herausfordernde Tätigkeit.

Alles Liebe,

Deine
Marina

P.S.: Ich freue mich über Rückmeldungen/einen Ideenaustausch/Diskussionen/Fragen per E-Mail (mail@marinaschacherl.at).

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