#derwegistdasziel ... und wie ich als Chorleiterin in Corona-Zeiten positiv bleibe.

...und was jetzt?

Ich hatte so viele Pläne. So vieles, was ich mit meinem Chor in den vergangenen Monaten musikalisch realisieren, tun, erleben wollte. So viele musikalische Ideen. So viel vor. Und dann kam „Corona“.
Innerhalb von kurzer Zeit war ich gezwungen, geplante Proben und schöne musikalische Aufführungen abzusagen. So erging es nicht nur mir, sondern in vielerlei Hinsicht uns allen. Du findest Dich bestimmt wieder.
Ich habe den Eindruck, jetzt stehen wir Chorleiter*innen und Chorsänger*innen kollektiv vor der etwas verzweifelten Frage:

Mein Eindruck ist, dass sich die Situation in nächster Zeit nicht verbessern wird. Wir werden noch lange mit Covid19, mit vielen Einschränkungen, die auch das Singen betreffen, sowie mit den psychischen und gesundheitlichen Spätfolgen der Krankheit leben müssen.

Aus meiner Sicht gibt es jetzt zwei Möglichkeiten:

  • Wir stecken den Kopf in den Sand, veranstalten gar nichts und warten auf bessere Zeiten. Diese Möglichkeit kommt für mich persönlich nicht in Frage. Es ist aus meiner Sicht der einfache, der bequeme Weg.

  • Oder aber: wir fokussieren uns auf das, was geht! Und wir suchen neue Möglichkeiten, wie wir das Chorsingen generell und das damit so essenziell verbundene Gemeinschaftsgefühl ermöglichen können.
    So viel ist klar: das erfordert von uns als Leiter*innen und auch von unseren Sänger*innen enorme Flexibilität. Denn: vieles wird neu, anders, ungewohnt.
    Manchmal habe ich den Eindruck, genau das widerspricht der skeptischen österreichischen Seele, die sich meiner Beobachtung nach mit Veränderung eher schwertut. 😉 (verdeutlicht durch überspitzte Aussagen á la: „Das haben wir aber immer schon so gemacht und daher machen wir das sicher nicht anders.“ oder „Kenn´ ich nicht, brauch´ ich nicht…!“…)
    Aber genau in der Veränderung liegt auch Kraft, Innovation, Wachstum.

Ich habe für mich persönlich beschlossen, diese Krise als Chance wahrzunehmen und zu nützen. Und entscheide mich daher aus ganzem Herzen für die zweite Möglichkeit.

Ende Oktober starte ich mit meinem Chor VOCAMUS aller Voraussicht nach wieder ein Chorprojekt. Geplant sind zwei a cappella Weihnachtskonzerte nach Weihnachten. Ob wir es tatsächlich bis zu unseren Aufführungen schaffen? Mal schauen! Man lernt in solch unsicheren Zeiten auch Gelassenheit. Dinge so anzunehmen und zu akzeptieren, wie sie sind.
Ich sehe das als Bereicherung. Es hilft mir, den Blick auf das Wesentliche nicht zu verlieren.
Was ist das, was wirklich zählt?

Ich habe mir vorgenommen, mich über jede einzelne Minute zu freuen, die wir gemeinsam singend verbringen können.
Nach dem Motto:

Und wenn wir es tatsächlich bis zu unseren Konzerten schaffen, freue ich mich umso mehr. Und wenn nicht: aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben. 😉

Ein kurzer Einblick in meine Planungen:

  • Für unsere Proben habe ich riesige Räumlichkeiten organisiert, denn unser bisheriger Probenort ist unter den jetzigen Umständen leider viel zu klein.
    Wir proben in einem 300 m2 großen Saal in einem Volkshaus in Linz sowie im großen Pfarrsaal einer Linzer Pfarre. Auf Grund der Raumgrößen ist der Abstand zwischen den Sänger*innen gar kein Problem (wir könnten die empfohlenen Abstände bei Bedarf sogar auf über zwei Meter in alle Richtungen ausweiten).
    Mit meiner jetzigen Lösung bin ich sehr glücklich, aber sie hat mich ehrlicherweise einiges an Organisationsarbeit und Zeit gekostet. Von überteuerten Pfarrsälen bis zu platztechnisch zwar geeigneten Kirchräumen, die allerdings im Winter nicht geheizt werden, waren so einige Ideen und Angebote dabei.
    Meine Erfahrung: Geduld und Mut wird schlussendlich belohnt. Und ich möchte Dich ermutigen, kreativ, proaktiv und geduldig in die Organisation von möglichen Probe-Räumlichkeiten hineinzugehen.

  • Wir proben in kleineren Gruppen.
    Ich habe meinen Chor in zwei vierstimmige Chöre aufgeteilt, in „vocAmus“ und „vocBmus“. Außerdem probe ich getrennt mit den hohen Stimmen (Sopran und Tenor) und den tiefen Stimmen (Alt und Bass) des Chores, beziehungsweise nur mit den Damenstimmen oder nur mit den Herrenstimmen. Es werden bis zu den Schlussproben nie mehr als 15-20 Sänger*innen im Raum sein, und das gibt mir ein gutes Gefühl.

  • Für unsere Aufführungen habe ich uns zwei Kirchen organisiert, in denen ich den Chor im Altarraum gut mit Abstand aufstellen kann. Die Kirchen sind akustisch so beschaffen, dass sie für a cappella Chormusik gut geeignet sind, und nicht zu groß, sodass die Musik nicht verschwimmt. Allerdings groß genug, damit auch genügend Publikum mit Abstand Platz haben wird.
    Um schlussendlich die in meinen Augen beste Entscheidung hinsichtlich Konzert-Location treffen zu können, bin ich einen Vormittag quer durch Linz gefahren und habe mir tatsächlich mehrere Kirchen angeschaut. Ein Lokalaugenschein hilft, und in der jetzigen Situation manchmal auch ein Maßband. 😉

  • Hinsichtlich Programmierung habe ich mir Einiges vorgenommen. Anspruchsvolle a cappella Literatur, teilweise achtstimmig, unter anderem von Lauridsen, Gjeilo, Poulenc und Reinthaler steht am Programm. Aber: es könnte auch ganz anders werden. Vielleicht singen wir auch einfach wunderschöne vierstimmige Weihnachtslieder oder Volkslieder? Mal schauen, was die nächsten Wochen bringen. Es klingt vielleicht komisch, aber ich bin freudig gespannt!

Meine Erfahrung auf Grund zahlreicher Rückmeldungen zeigt, dass sich die allermeisten Sänger*innen sehr freuen und dankbar sind, dass wir wieder singen werden. Sie vermissen das gemeinsame Singen, und auch das Publikum vermisst Live-Konzerte. Dieser positive Zuspruch und die Dankbarkeit, die ich erfahre, schenken mir viel Motivation!
Was es aber im Moment aus Chorleiter*in-Sicht auch braucht, ist Verständnis für diejenigen, die das Singen momentan nicht wagen wollen. Wenn jemand im engen Familienkreis eine krebskranke Person hat und nichts riskieren möchte, wenn jemand selbstständig ist und aus existenziellen Gründen unbedingt eine mögliche Quarantäne vermeiden möchte, …
Die Gründe für Absagen können vielfältig sein - und die genannten sind aus meiner Sicht mehr als verständlich.

Eine Chorprobe ist immer auch ein soziales Ereignis und ein Chor ein soziales Gefüge. Unterschiedliche Menschen kommen zusammen und bilden durch das gemeinsame Singen eine Gemeinschaft, lernen sich aber natürlich auch persönlich kennen und schätzen. Dies passiert in den Pausen, beim gemeinsamen Wirtshausbesuch nach den Proben und insbesondere auch durch gemeinsame Erlebnisse abseits der Chorprobentätigkeit. Die obligate Frage nach der Probe „Gehma noch auf a Getränk zum XY?“ steht für mich aus jetziger Sicht nicht zur Debatte.
Wir Chorleiter*innen müssen uns allerdings überlegen, wie wir trotz der momentanen Situation persönliche Begegnungen ermöglichen können.
Folgende Idee eines Chorleiterkollegen finde ich diesbezüglich sehr schön:
Er wird mit seinem Chor nicht gänzlich auf die traditionelle Weihnachtsfeier („üblicherweise mit einem gemeinsamen Abendessen und einem anschließenden gepflegten Betrinken“) verzichten, ist sich aber sicher, dass das heuer im großen Chor nicht möglich sein wird. Stattdessen werden jedem Mitglied des Chorvorstandes 4-5 Sänger*innen zugelost und die Weihnachtsfeier findet in mehreren Kleingruppen statt. Diese Idee fällt für mich in die Kategorie: Anders als immer, aber sehr gut! Und sie birgt vielleicht die Chance, dass Chorsänger*innen sich näher kennenlernen und ins Gespräch kommen, die sich sonst oft nur von der Ferne grüßen.

Worüber ich mir in letzter Zeit viele Gedanken mache, ist, wie es mit unseren Kirchenchören weitergehen wird. In den Kirchenchören gibt es oft einen hohen Prozentsatz an Sänger*innen, die sich in der Risikogruppe befinden. Man muss keine Hellseherin sein, um zu antizipieren, dass es den ein oder anderen Kirchenchor nach dieser Krise in der gewohnten Form nicht mehr geben wird.
Aber: vielleicht ermöglicht uns beziehungsweise SCHENKT uns die jetzige Zeit ja, manches gänzlich neu zu denken?
Vielleicht kann und wird es uns in Zukunft leichter fallen, regional ortsübergreifend zusammenzuarbeiten, sinnbildlich „Grenzen zu überwinden“?
Meine konkrete Vision: Kirchenchor A, Kirchenchor B und Kirchenchor C fusionieren sich zu einem gemeinsamen musikalischen Projekt, das eventuell im Laufe der Zeit sowohl im Ort A, Ort B als auch Ort C zum Klingen gebracht wird.
Vielleicht hilft uns die jetzige Situation, verkrustete Strukturen zu überwinden, innovativ zu werden und Synergien zu nützen?

Was mir ehrlich gesagt Sorgen macht, ist, wie es mit unseren Kinderchören weitergehen wird. Von den (professionellen) Kinderchören hört man, dass sie mit Nachwuchssorgen und Geldsorgen durch fehlende Einnahmen (Absagen von Konzerten) konfrontiert sind. Dazu verlinke ich unten einen Bericht und ein Interview mit dem künstlerischen Leiter des Tölzer Knabenchores.
Hier gilt es, konsequent Motivations- und Aufklärungsarbeit zu leisten, um neue junge Sänger*innen zu gewinnen, sowie den Kinderchören die nötige Unterstützung zukommen zu lassen (Geld, Auftrittsmöglichkeiten,..).
Wie können wir alle etwas beitragen?
Indem wir Konzerte besuchen und uns in der Öffentlichkeit darum bemühen, das gute Image des Singens an sich wiederherzustellen.

Die positiven Effekte von singen sowohl für den Körper als auch für die Psyche wurde oftmals studiert und bewiesen!
Am T-Shirt meines Verlobten steht: „Singing is cheaper than therapy.“ Und genauso ist es! 😉

Vieles ist momentan unsicher. Einiges ist und bleibt spannend.
Versuchen wir doch, dieses „Abenteuer“ gemeinsam mutig und zuversichtlich zu wagen. Ich sage nicht, dass das leicht ist. Es ist insbesondere für uns Chorleiter*innen herausfordernd, manchmal kräftezerrend und mühsam.
Aber: WIR SCHAFFEN DAS! 😊

Gerade habe ich das Lied „Laut sein“ von Maybepop im Ohr. Und da heißt´s im Text: „Alles ist vergänglich - Nur der Wandel hat Bestand!“.
In diesem Bewusstsein wünsche ich Dir für Dich und Deine Arbeit alles Gute, Zuversicht und den Mut, Neues zu wagen!
Untenstehend habe ich ein paar nützliche Links für Dich gesammelt.
Ich freue mich über Rückmeldungen/einen Ideenaustausch/Diskussionen/Fragen per E-Mail (mail@marinaschacherl.at).

Deine
Marina


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