#lockdown2 ... und warum für mich die Zukunft des Chorgesangs trotzdem JETZT beginnt!

All I want for Christmas is...? CHOR!

Erstens kommt derzeit alles anders, zweitens als man denkt (und hofft)!
Seit den neuesten Covid-Maßnahmen ist sonnenklar: das war´s erstmal für längere Zeit mit dem Chorsingen in unserer gewohnten Form.

Für mich hat das konkret bedeutet:
Ich musste unter anderem das nächste Projekt mit meinem Chor VOCAMUS absagen. Ein Déjà-vu zum März, denn auch diesmal kamen die neuen Maßnahmen knapp vor dem nächsten Projektstart, auf den sich alle schon gefreut hatten.

In meinem Arbeitszimmer liegen noch die „Relikte“ des Projektes – nämlich stapelweise Noten für unser Weihnachtsprojekt: unter anderem „O Magnum Mysterium“ von Morten Lauridsen, „The Holly and the Ivy“ von Ola Gjeilo, „Hodie Christus natus est“ von Francis Poulenc… die Noten habe ich zeitgerecht bestellt, freudigst in Empfang genommen und musikalisch durchgearbeitet für unseren Probenstart Ende Oktober.
Und jetzt liegen sie da und wirken irgendwie deplatziert. Aber die Notenstapel wegzuräumen und zu archivieren, das habe ich bis jetzt einfach noch nicht geschafft.

Man könnte in Anbetracht der Tatsachen als Chorleiter*in fast depressiv werden. Gemeinerweise wird in der Linzer Gegend die triste Stimmung noch durch den hartnäckigen Novembernebel verstärkt…

Aber: ich für meinen Teil fühle mich gerade nicht niedergeschlagen, sondern im Gegenteil: ziemlich motiviert!
Mein Eindruck ist, dass uns Schuldzuweisungen, jammern, schreckliche Zukunftsszenarien für die Chorszene auszumalen oder den Kopf in den Sand zu stecken und auf bessere Zeiten zu warten momentan gar nicht weiterhelfen.
Wäre es nicht um ein Vielfaches sinnvoller, die momentane „chorfreie“ Zeit dafür zu nutzen, sich Gedanken über mögliche Zukunftsvisionen zu machen und Neues zu entwickeln?

Sich zu überlegen:

Denn dass uns die Corona-Krise in vielen Bereichen unseres Lebens, und eben auch im Chorbereich, noch lange beschäftigen wird, das steht zumindest für mich leider außer Frage.

Um ehrlich zu sein war ich persönlich schlussendlich froh, als die neuen Regelungen ziemlich unmissverständlich veröffentlicht wurden. Denn in meinem Kopf hatte sich zu diesem Zeitpunkt betreffend die Durchführung von Chorprojekten das Risiko-Nutzen-Verhältnis im Vergleich zu den letzten Monaten doch deutlich verändert.
Momentan würde ich das Risiko zu proben ehrlich gesagt auch mit einem Tip-Top-Covid-Präventionskonzept nicht verantworten wollen.
Dass Chorsänger*innen in Quarantäne müssen (und in weiterer Folge vielleicht in existenzielle Nöte geraten) oder sogar erkranken – daran möchte ich als Letztverantwortliche nicht schuld sein.
Und zumindest in meinem Umfeld gibt es bereits einige Chöre, die trotz diverser Sicherheitsvorkehrungen leider zahlreiche Covid-Ansteckungen zu vermelden hatten bzw. haben.

In der Reflektion betrachtet:
War die Arbeit, die ich in mein Weihnachts-Chorprojekt gesteckt habe, wirklich „umsonst“? Das glaube ich nicht! Aufgeschoben ist nicht aufgehoben! Das Programmkonzept steht, irgendwann werden wir es bestimmt genau so machen. Nur singen müssen wir noch dürfen. 😉

Auf der Suche nach konstruktiven Lösungen für die jetzige Situation stelle ich mir folgende Fragen – und vielleicht helfen meine Antworten auch Dir weiter? Oder Du findest für Dich noch ganz andere Antworten und Lösungen?

  • Wie kann man trotz der jetzigen Umstände miteinander singen?

  • Wie kann ich mit meinem Chor in dieser Zeit der physischen Distanz Kontakt halten?

Ich habe mich vor kurzem dazu entschlossen, für die Sänger*innen, die möchten, an den vier Montagen im Advent online-Proben abzuhalten (Dauer: ca. 1,5 Std.). Dafür möchte ich aller Voraussicht nach die App ZOOM Pro nutzen (kostenpflichtige Version um 13,99 €im Monat, monatlich kündbar).

Natürlich kann eine online-Probe das tatsächliche gemeinsame Singen nicht ersetzen, denn bei online-Proben kann man schon aufgrund der Latenzzeit gar nicht von gemeinsamem Singen sprechen.

Allerdings sehe ich in der jetzigen Situation doch einige positive Aspekte von Online-Proben:

  • Der soziale Aspekt:
    Wir sehen uns endlich wieder und können uns (ganz ohne Maske! 😉) anlächeln und ins Gespräch kommen.

  • Der stimmtechnische Aspekt:
    Ich möchte meinen Sänger*innen ein ausgedehntes Einsingen anbieten. Schließlich sind die meisten von uns mittlerweile stimmlich etwas eingerostet und so kann jede*r für sich in den eigenen vier Wänden wieder in Schwung kommen.

  • Der musikalische Aspekt:
    Wir werden vierstimmige Weihnachtslieder einlernen, Stimme für Stimme, und diese anschließend gemeinsam vierstimmig zu meiner Klavierbegleitung durchsingen. Das ist zwar musikalisch unter normalen Umständen nicht ganz unser Anspruch, ABER:

  1. Wir kommen in Weihnachtsstimmung. 🎄
    Wie soll uns das denn ohne ausgedehnte weihnachtliche Shopping-Touren, bei denen man in sämtlichen Geschäften mit „Last Christmas“ und „All I want for Christmas is you“ beschallt wird, sonst gelingen? 😉

  2. Vielleicht sind einige Lieder dabei, die die Chorleiter*innen in meinem Chor später für ihre eigenen Chöre brauchen können?

  3. Vielleicht möchten manche Sänger*innen die Lieder zu Weihnachten analog in ihren Familien singen und musizieren?

Außerdem gibt es in meinem Kopf eine zugegebenermaßen etwas verrückte Idee. Sollten die COVID-Maßnahmen outdoor im Dezember wieder etwas lockerer werden, möchte ich nach Weihnachten mit allen Sänger*innen, die dabei sein möchten, ein outdoor-Weihnachtslieder-Singen-mit-Abstand veranstalten. Entweder nur für uns oder sogar für Menschen. Und die Lieder, die wir online eingeübt haben, würden zu diesem Anlass zum allerersten Mal tatsächlich gemeinsam erklingen. Das wäre doch eine schöne Geschichte? 😊

Eine weitere Frage, die ich mir in der jetzigen Situation stelle, ist:
Wie kann ich mich als Chorleiter*in in der chorfreien Zwischenzeit weiterentwickeln, in Form halten und für die Zukunft rüsten? 🚀
Denn: es werden irgendwann ganz bestimmt wieder bessere Zeiten kommen…!

Ich selbst versuche:

  1. 🎤 Regelmäßig zu singen, damit ich nicht ganz einroste.
    Von stimmtechnischen Übungen bis zu „kreuz-und-quer-Popsongs-aus-dem-Liederberg-durchsingen“ ist da bei mir alles dabei.

  2. 📖 Viel zu lesen.
    Im Moment beschäftige ich mich aus chorleiterischer Sicht einerseits intensiv mit dem Thema „Seniorenchorleitung“ bzw. „singen mit Menschen 60+“, andererseits aber auch mit kommunikationspsychologischen Themen. Dazu verlinke ich unten zwei Buchtipps.

  3. 💡 Aktiv an Fortbildungsveranstaltungen teilzunehmen.
    Ich habe unter anderem vergangenes Wochenende am online-Symposium „Lebenslang musizieren“ des Zentrums für chorpädagogische Forschung und Praxis (Universität Mozarteum Salzburg, Department für Musikpädagogik Innsbruck) teilgenommen, bei dem einige Expert*innen interessante Beiträge zum Thema Musikgeragogik beigetragen haben. Das war sehr inspirierend und motiviert mich für die Zukunft.

  4. ❓ Mich zu fragen:
    Was wird das Erste sein, das chorisch nächstes Jahr wieder gehen wird und wie könnte eventuell ein konkretes realisierbares Chorprojekt aussehen?

Dazu muss ich intensiv an eine Aussage meiner Nachbarn denken, die Gastronome sind: „Zuerst werden wir realistischerweise wieder mit kleinen Tischen, mit 2er bis 4er Tischen, anfangen müssen… Bis wir wieder Ritteressen für große Gruppen veranstalten können, wird es sicher noch dauern…“

Dasselbe wird wohl für uns, die wir in der Chorarbeit tätig sind, gelten.
Wir werden zu Beginn wieder kleinere Brötchen backen müssen. Singen in solistischen Besetzungen, in kleineren Ensembles, aufgesplittet auf zwei oder mehrere Chöre. (Das Brahms Requiem in meinem Kopf wird sich wohl oder übel noch einige Zeit gedulden müssen…)

Ja! Vieles ist und wird anders als gewohnt. Aber das muss nicht unbedingt schlecht sein. Diese Zeit gibt uns die Möglichkeit, Neues in Betracht zu ziehen, Dinge auszuprobieren und zu verwerfen, Dinge auszuprobieren und für GUT zu befinden.
Diese Zeit gibt uns ZEIT - uns zu entwickeln, uns zu verbessern, durchzuatmen, zu reflektieren. ⌚💡😊

Und ich bin sicher:
Wenn wir diese „andere“ Zeit hinter uns haben, kann uns nichts mehr stoppen.
Wir werden drauf los singen, mit all´ unsrer Leidenschaft, unsrer Freude, unsrer Kraft!
Wir werden viele sein und unüberhörbar!
Ich habe das ganz genau vor Augen und freue mich schon richtig drauf!

Für jetzt wünsche ich Dir alles erdenklich Liebe und Gute, positive Gedanken, und vor allem: viel Energie und Gesundheit.

Ich freue mich wie immer über Rückmeldungen/einen Ideenaustausch/Diskussionen/Fragen per E-Mail (mail@marinaschacherl.at).

Deine
Marina


  • Hilfreiche Erfahrungsberichte zum Thema „Proben mit ZOOM“ haben meine geschätzte Freundin und Kollegin Franziska Riccabona sowie mein Kollege Guillaume Fauchère verfasst.
    Franziskas ausführlicher Bericht erscheint Mitte Dezember in der empfehlenswerten österreichischen Zeitschrift für Kirchenmusik “Singende Kirche” (es gibt außerdem die Möglichkeit, ein Gratisheft zum Testlesen zu erhalten!)
    Guillaumes kurzer persönlicher Einblick ist im Heft “CHORINFO” (1/2020) des Chorverbandes Oberösterreich nachzulesen. (ein Abonnement der CHORINFO kostet jährlich 6,00 €)

  • Ein sehr empfehlenswertes Buch zum Thema „Singen mit Menschen im dritten und vierten Lebensalter (60+)“:
    Handbuch Seniorenchorleitung (Dr. Kai Koch), herausgegeben vom Bosse Verlag

  • Die vier Bücher „Miteinander reden“ des bekannten Kommunikationspsychologen Friedemann Schulz von Thun finde ich gerade auch sehr interessant und lehrreich. Meiner Ansicht nach ist es für Menschen in Leitungsfunktionen, somit auch für Chorleiter*innen, und generell für Menschen, die mit Menschen zu tun haben, durchaus spannend und bereichernd, sich mit kommunikationspsychologischen Themen auseinander zu setzen.

  • Das 2019 neu gegründete „Zentrum für chorpädagogische Forschung und Praxis" (Universität Mozarteum Salzburg, Department für Musikpädagogik Innsbruck) unter der Leitung von Univ.Prof. Dr. Heike Henning lädt immer wieder zu interessanten Veranstaltungen, derzeit nach Anmeldung online frei zugänglich, z.B.:
    Online-Workshop-Reihe zum Thema “Intelligent Choir” mit Felix Schirmer

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