#Einsingen - Welche Übungen machen eigentlich Sinn? Und in welcher Reihenfolge?

Einsingen im Chor - Teil 2

Im letzten Blog-Post habe ich über das kurzfristige und langfristige Ziel des chorischen Einsingens geschrieben. In dieser Fortsetzung geht es um die inhaltliche Zusammenstellung des Einsingens.
Und da wären wir wieder bei der Frage: „Was mach´ ich denn heute beim Einsingen?“ angelangt. Eine Frage, die uns wohl unser gesamtes Chorleiter-Leben lang beschäftigen wird… 😉
Ich möchte Dir mit diesem Blog-Post gerne einen persönlichen Einblick schenken, welche Überlegungen für mich in der Beantwortung dieser Frage eine Rolle spielen, und ich freue mich, wenn Du Dir aus meinen Erfahrungen hilfreiche Gedanken und Informationen für Dein Tun mitnehmen kannst.


Was die inhaltliche Zusammenstellung des Einsingens betrifft, mache ich keinen Unterschied darin, mit Sänger*innen welchen Alters ich zu tun habe (den Kinderchor mal ausgenommen). Egal ob ich mit Jugendlichen, mit älteren Menschen oder einer altersmäßig heterogenen Chorgemeinschaft zu tun habe:

Ein Einsingen dient meiner Ansicht nach nicht dem Entertainment. Was für mich stattdessen im Vordergrund steht, ist der funktionale und stimmtechnische Sinn der ausgewählten Übungen. (Kurze Randbemerkung: lachen und Spaß haben darf man beim Einsingen trotzdem! 😉)

Hier achte ich, wenn ich langfristig mit einem Chor probe, auf eine Mischung aus Routine und Abwechslung.
Bekannte Stimmübungen bewirken, dass sich technische Abläufe festigen und somit leichter auf die Literatur übertragen werden können. Neue Stimmübungen bringen Abwechslung und regen die Neugier und Flexibilität an.

Letztendlich ist die Zusammenstellung der Übungen auch davon abhängig, welche Literatur ich anschließend proben möchte.
Singen wir eine Bach-Motette mit vielen Koloraturen? Dann macht eine Übung zur Verbesserung der Flexibilität der Stimme Sinn.
Singen wir im Anschluss ein romantisches Stück mit vielen langen Phrasen? Dann wähle ich zum Abschluss des Einsingens zum Beispiel eine Atemübung, wo wir den Atem möglichst lange und dosiert ausströmen lassen.
Singen wir ein Stück aus dem Pop-Genre? Dann gelten wieder ganz andere Gesetze. (aber dazu ein anderes Mal… 😊)


Bei der Zusammenstellung des Einsingens achte ich darauf, die Übungen sukzessive aufzubauen. Dazu möchte ich mit Dir heute den sogenannten „Bogen beim Einsingen“ teilen, der mir persönlich als Grundlage für die Zusammenstellung eines guten und sinnvoll aufgebauten Einsingens dient.

Ich habe ihn hier für Dich skizziert:


Jeder der einzelnen dargestellten Punkte kann nur eine, oder aber auch mehrere Übungen umfassen. Je nachdem, wieviel Zeit mir zur Verfügung steht, beziehungsweise worauf ich mit dem jeweiligen Einsingen den Fokus legen möchte.

Aber nun gehe ich kurz und kompakt auf die einzelnen Punkte des Bogens ein:

Körper- und Atemübungen stehen bei mir eigentlich immer am Beginn des Einsingens. Nicht selten ist es so, dass Chormitglieder im Anschluss an einen langen Bürotag zur Chorprobe erscheinen. Und wenn man mehr oder weniger den ganzen Tag vor dem Bildschirm sitzend verbracht hat, sehnt sich der Körper erstmal nach Bewegung.
Wir strecken unsere Körper durch, wir dehnen die Flanken, wir bewegen unsere Gelenke, wir kreisen die Schultern, wir öffnen den Brustkorb weit, atmen tief durch, wir kommen an – all´ das hilft uns dabei, unseren Körper für das Singen zu öffnen und dass unsere Töne schöner und freier klingen können.


Anschließend wecken wir mit einer oder mehreren „Kleinen Stimmübungen“ unsere Stimme. „Klein“ im Sinne von: Kleiner Tonumfang.
Wir starten aus dem Summen heraus, in der angenehmen Mittellage, und wärmen unsere Stimme sanft und genussvoll auf. Mit Nasallauten („m“, „n“, „ng“) suchen wir einen weichen und kopfigen Klang. Nach dem Summen wechseln wir auf die Vokale „u“, „ü“, „o“, um auch hier den Fokus eher auf die Randstimme zu legen.

Folgende Vorstellungen können dabei unterstützen:

  • Beginnendes Gähnen, lächelnde Augen, staunen, das Gefühl von innerer Weite, unser Kopf ist eine Klangkuppel.
  • Wir lassen den Klang einströmen - „inhalare la voce“, wie die Italiener so schön sagen.

Von den „Kleinen Stimmübungen“ gibt es bei mir meist einen nahtlosen Übergang zu den „Großen Stimmübungen“ – nämlich, wie es der Name schon sagt, zu Übungen mit einem größeren Tonumfang.
Die Stimme wird in ihrem gesamten Ambitus zum Klingen gebracht und im Optimalfall im angenehmen Legato in die Höhe geführt. Ideale öffnende Vokale für die Höhe sind meiner Erfahrung nach vor allem „a“, oder „o“.
Wir achten auf den Lagenausgleich und eine gute Registermischung.

Folgende Vorstellungen und Bewegungen können dabei unterstützen:

  • Wir stellen uns am Beginn der Phrase bereits den Hochton (oder den Ton über dem Hochton) vor.
  • Wir gehen vor dem Erreichen des Hochtons in die Knie oder machen mit den Händen eine „Schöpfbewegung“.
  • Wir singen die gesamte Phrase mit Schwung und nehmen den Hochton im Vorübergehen einfach mit.

Die nun folgende(n) Übung(en) halte ich „flexibel“ – im wahrsten Sinne des Wortes. Je nachdem, worauf ich den Fokus legen möchte, kann ich nun eine Lockerungsübung für die Lippen / für die Zunge, oder aber eine Übung zum schnellen und flexiblen Reagieren der Stimme und / oder des Zwerchfells einbauen.

Folgende Vorstellungen können helfen:

  • Wir achten auf eine flexible Bauchwand, die Töne federn wie auf einem Trampolin.
  • Wir singen nach vorne, in die „Maske“. (Die Vokale „i“ und „e“ können uns übrigens dabei helfen, den Vordersitz zu finden.)
  • Wir singen aus den Augen.
  • Der Klang strahlt von der Stirn ab.
  • Unser Unterkiefer hängt locker, aber unsere Wangen und Augen lächeln.
  • Wir achten auf einen hohen Gaumen. (Die Vorstellung des beginnenden Gähnens, des Staunens, die Vorstellung, dass unser Kopf eine Klangkuppel ist, wirkt auch hier Wunder!)

Zum Abschluss des Einsingens machen wir je nach Bedarf wieder eine Körperübung, oder, wenn zuvor eine aktive Übung dran war, eine beruhigende Atemübung, um uns wieder gut zu fokussieren.
Auch das Erlernen eines Kanons bzw. eine Übung, die in die Mehrstimmigkeit führt, kann hier gut Platz haben.
Oder aber eine Übung für die gute Intonation und Homogenität im Chorklang, zum Beispiel durch das Singen von Dreiklängen mit geschlossenen Augen.
(Genau darum, nämlich den schönen und homogenen Chorklang, geht es übrigens in meiner aktuellen Podcast-Folge. 😊)


Und jetzt sind wir richtig gut eingesungen und mehr als bereit für die anschließende Chorprobe. 😊

Aber: für uns Chorleiter*innen ist die stimmbildnerische Arbeit in der Chorprobe noch lange nicht zu Ende. Wie können wir unseren Sänger*innen auch während der Probe vielfältige technische Unterstützungen bieten?
Darüber schreibe ich ganz bald im dritten Teil dieses Blog-Posts.

In der Zwischenzeit freue ich mich über Rückmeldungen, einen Ideenaustausch, Diskussionen und Fragen per E-Mail an mail@marinaschacherl.at.
Es ist so schön, wie viele wundervolle Nachrichten mich immer wieder erreichen.
Ein Dankeschön von Herzen dafür! 😊💚🎵

Eine herzliche Einladung habe ich noch für Dich, in meinen E-Mail-Newsletter-Verteiler zu kommen. Als kleines Willkommensgeschenk schicke ich Dir mein liebevoll gestaltetes und praktisches Cheat-Sheet “Einsingen im Chor” zu. 😊 Und ich informiere Dich über meinen Newsletter gerne einmal im Monat über neue Blog-Artikel, Podcast-Folgen, interessante Veranstaltungs- und Büchertipps rund ums Chorleiten und Chorsingen.

Bis ganz bald und alles Liebe
von

Marina
  • 🎤 Hier geht es zur aktuellen Folge im Podcast “Chor & Stimme”, in der ich mit Dir meine drei persönlichen Kriterien für einen schönen Chorklang teile - und wie man diese erfüllen kann: Einen “schönen” Chorklang erreichen - aber wie?

  • 📖 Viele hilfreiche und interessante Informationen zum Thema “Einsingen” und “Chorische Stimmbildung” gibt es im Buch Chorleitfaden - Teil 1 von Robert Göstl nachzulesen. Dicke Empfehlung! 👍🏻

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30. Dezember 2020

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“Was mach´ ich denn heute beim Einsingen?” 🤔 Diese Frage hast Du Dir, wenn Du Chorleiter*in bist, so oder so ähnlich bestimmt schon gestellt. Aus meiner Sicht kann man den Themen “Einsingen” beziehungsweise “Chorische Stimmbildung” als Chorleiter*in gar nicht genug Bedeutung beimessen.

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